Herr Schneppensiefer, derzeit ist der Begriff „New Work“ in aller Munde, doch jeder scheint etwas anderes darunter zu verstehen. Was ist Ihre Sichtweise auf „New Work“?
Das stimmt, der Begriff „New Work“ wird heute sehr unterschiedlich verwendet. Die einen sehen New Work nach den Ideen des Erfinders Dr. Frithjof Bergmann als Ebene der eigenen
Selbstverwirklichung und als Ansatz, der eigenen Arbeitsleistung einen tieferen Sinn zu geben – oder diesen zumindest zu hinterfragen. Andere nutzen New Work, um auf flexiblere Arbeitsmodelle
oder modernes Bürodesign zu setzen. Dabei geht es doch eigentlich um viel mehr. In meiner Auffassung geht es darum, Arbeitsstrukturen zu schaffen, die nicht nur effektiver, sondern auch
erfüllender für die Mitarbeitenden sind. Erfüllend nicht in Form von „jeder bekommt seinen Willen“, sondern im Sinne von „endlich mal in Ruhe die eigenen Aufgaben erledigen können“. Die Leute
brauchen keinen Tischkicker – sie brauchen Flexibilität, Zeit und Ruhe, um bestmöglich ihren Aufgaben gerecht zu werden.
Sie sprechen davon, dass die Umsetzung von „New Work“ in der Praxis für viele Unternehmen eine Herausforderung darstellt. Können Sie das konkretisieren?
Sehr gerne. Viele Unternehmen haben zwar ein theoretisches Verständnis davon, was New Work sein könnte, aber die praktische Umsetzung bleibt oft fragmentiert und ist geprägt durch Aktionismus. In
meiner Erfahrung reicht es nicht, New Work nur räumlich oder ideologisch umzusetzen. Es braucht einen umfassenden Ansatz, der die Organsiationsstruktur, Raumkonzepte, Kollaborationstechnologien
und Arbeitszeitkonzepte aufeinander abgestimmt verbindet. Nur so kann New Work wirklich funktionieren und Mehrwert schaffen. Diese Perspektive wird übrigens in der Wissenschaft mit dem Titel
„Future of Work“ oder auch „Wandel der Arbeitswelt“ bezeichnet und ist somit viel umfassender zu sehen.
Sie haben ein Modell entwickelt, das auf diesen vier Ebenen basiert. Könnten Sie die erste Ebene – die Organisationsstruktur – etwas näher erläutern?
Natürlich. Der erste Schritt ist, die Unternehmensstruktur so zu gestalten, dass jede Einheit möglichst unabhängig und selbstverantwortlich arbeiten kann. Das bedeutet in der Praxis, dass wir
eine strikte Reduzierung bzw. Eliminierung von manuell gesteuerten Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Organisationseinheiten vorantreiben müssen. In unserem Unternehmen haben wir zum Beispiel
Einheiten geschaffen, die weitestgehend autark agieren können und somit eigenverantwortlich (und auch empowered) sind. Diese Verantwortung motiviert die Mitarbeitenden, und wir sehen, dass
dadurch sowohl die Qualität als auch die Geschwindigkeit der Arbeitsergebnisse steigen. Mitarbeitende fühlen sich nicht nur als „Zahnrad in der Maschine“, sondern als Akteure, die etwas im Team
verantworten können. Das fördert außerdem innovative Ansätze und experimentelles Denken – was ja auch Teil des ursprünglichen New-Work-Gedankens ist.
Welche Rolle spielen Führungskräfte in einer New-Work-Organisation? Müssen sie ihren Führungsstil verändern?
Absolut. Führungskräfte in einer New-Work-Organisation müssen sich stärker als Problemlöser sehen. Wir haben besonders in größeren Organisationen zu viele Hierarchieebenen, was dazu führt, dass
wir Informationen von oben nach unten leiten, ohne selbst in die echte Verantwortung zu gehen. Es erfordert Vertrauen und die Bereitschaft, Verantwortung abzugeben – was für manche Führungskräfte
eine Herausforderung sein kann. Gleichzeitig schafft das freie Zeit, in der die Führungskräfte sich um abteilungsübergreifende Probleme kümmern können, die auf Teamebene nicht gelöst werden
können.
Welche Rolle spielt die physische und digitale Arbeitsumgebung in Ihrer New-Work-Welt?
Beides ist extrem wichtig und muss aufeinander abgestimmt sein. Die physische Arbeitsumgebung ist tatsächlich ein zentraler Punkt. Die einen wollen alle Mitarbeitenden zurück ins Büro holen, die
anderen alle nach Hause schicken, um Flächenkosten zu sparen. Bei uns geht es darum, dass wir eine bewusst gestaltete Büroumgebung schaffen, die sowohl für konzentriertes Arbeiten als auch für
Teamarbeit geeignet ist. Wir haben das Konzept der „Themenwohnung“ eingeführt, bei dem jeder Raum für ein bestimmtes Thema/Projekt vorgesehen ist. Damit limitieren wir im Übrigen auch die Anzahl
der Themen, die gleichzeitig gestartet werden können. Fokus ist nun mal ein zentraler Punkt für jede Organisation – wir verzetteln uns zu schnell. Gleichzeitig setzen wir auf einen „Digital
First“-Ansatz, bei dem alle Informationen digital verfügbar sind. Das ist dann die Ebene der digitalen Kollaboration. So ist die Zusammenarbeit reibungslos möglich, egal ob die Mitarbeitenden im
Büro oder remote arbeiten. Das erfordert viel Disziplin … aber es zahlt sich aus.
Wie sind Ihre Mitarbeitenden mit den Veränderungen in Richtung New Work umgegangen? Gab es Herausforderungen oder Widerstände?
Jede Veränderung erfordert eine gewisse Anpassungszeit, und das war bei uns nicht anders. Einige Mitarbeitende haben sich über den vermeintlichen Mehraufwand gestört, der bei dieser Art zu
arbeiten erst mal entsteht. Der Mehrwert überwiegt aber bereits nach kurzer Zeit. Durch Workshops, regelmäßiges Feedback und ein starkes Onboarding haben wir die Prozesse und Regeln iterativ
optimiert. Das empfehle ich jeder Organisation. Startet mit Best Practices, lasst Euch zu Beginn helfen und optimiert dann stetig intern weiter. Wichtig war es, dass jeder versteht, wie er oder
sie von diesen Veränderungen profitieren kann, sei es durch mehr Autonomie oder flexiblere Arbeitsmöglichkeiten. Mit der Zeit haben alle die Vorteile erkannt und schätzen gelernt.
Sie haben also auch die Kommunikation und den Informationsfluss neu strukturiert?
Genau, Transparenz ist hier das Stichwort. Durch die sofortige digitale Erfassung aller relevanten Informationen entsteht ein gemeinsamer Raum, in dem niemand Informationen verpasst. Die
empfängerorientierte Kommunikation ist hierbei ein Schlüsselelement, damit wir nicht in einen Informations-Tsunamie laufen, den niemand beherrschen oder greifen kann. Deshalb sind die Konzepte
dahinter auch entscheidend. So viel vielleicht in Kürze: Wenn man die digitalen Kanäle anhand von bestehenden fachlichen Strukturen aufsetzt, ist das in der Regel der falsche Weg.
Sie haben auch das Arbeitszeitmodell überdacht. Können Sie uns dazu mehr sagen?
Unser Team hat festgestellt, dass Multitasking und häufiges Wechseln zwischen Aufgaben zu Ineffizienz und Stress führen. Daher haben wir den Arbeitstag in Halbtagsslots aufgeteilt. Jeder
Vormittag und jeder Nachmittag sind einem bestimmten Thema gewidmet, sodass sich die Mitarbeitenden ohne Unterbrechung darauf konzentrieren können. Dieses Modell hat bei uns die Produktivität um
bis zu 30 Prozent gesteigert und hilft gleichzeitig, Burnout zu vermeiden. Die konzentrierte Arbeitszeit führt zu besseren Ergebnissen und mehr Wohlbefinden. Die Teams planen sich eigenständig
die Wochen im Voraus und es gibt eine Rolle namens „Kontakter“, die dafür sorgt, dass auch niemand gestört wird.
Wie gehen Sie mit unterschiedlichen Anforderungen Ihrer Mitarbeitenden um, gerade in Bezug auf flexible Arbeitszeiten und Remote-Arbeit?
Flexibilität ist ein zentraler Punkt von New Work, aber sie muss gut organisiert sein. Wir haben klare Richtlinien, die sowohl den Wunsch nach Remote-Arbeit, Workations oder auch die
Notwendigkeit von Präsenzzeiten berücksichtigen. Es gibt bei uns keine feste Bürotage-Quote oder sonstige Vorgaben. Und trotzdem haben wir Mitarbeitende, die regelmäßig selbst große Strecken (z.
B. Karlsruhe – Aschaffenburg) auf eigene Kosten auf sich nehmen, um hin und wieder im Büro zu sein.
Das klingt nach einer umfassenden Neuordnung des Arbeitsalltags. Welche Erkenntnisse haben Sie insgesamt aus der Implementierung dieses Modells gewonnen?
Unsere Erfahrungen zeigen, dass New Work im ursprünglichen Sinne nicht ausreicht und ein ganzheitlicher Ansatz von elementarer Bedeutung ist – egal ob wir das jetzt Future of Work oder sonst wie
nennen. Ein Unternehmen, das zukunftsfähig sein möchte, muss die Verantwortung der Mitarbeitenden fördern, echte Arbeitsräume schaffen, die Begegnung und Fokus gleichermaßen ermöglichen, und
Arbeitszeiten gestalten, die Konzentration und Erholung unterstützen. Nur wenn all diese Elemente harmonisch zusammenwirken, kommen wir ans Ziel. Und dann wird auch New Work zu einer Philosophie,
die Mitarbeitende stärkt und Organisationen zukunftsfähig macht.
Gibt es spezifische Technologien oder Tools, die Sie als unverzichtbar für die Umsetzung von New Work erachten?
In der Tat! Ein „Digital First“-Ansatz erfordert verlässliche und leicht zugängliche digitale Tools. Bei uns ist, bedingt durch die Marktmacht und die große Verbreitung von Microsoft mit der
kompletten M365-Suite (MS Teams, Loop, Planner, Sharepoint, etc.) zum zentralen Element geworden. Wir brauchen Lösungen, die möglichst nahtlos ineinandergreifen und verzahnt funktionieren. In
anderen Bereichen ist das auch durch die Atlassian-Suite (Jira, Confluence & Co.) möglich. Transparenz und der integrierte Informationsfluss müssen höchste Priorität haben. Solche
Lösungen ermöglichen es den Teams, von überall aus effizient zusammenzuarbeiten und schaffen eine einheitliche Informationsgrundlage, was gerade in flexiblen und hybriden Arbeitsmodellen
essenziell ist.
Wie messen Sie den Erfolg der New-Work-Maßnahmen? Gibt es konkrete Kennzahlen oder qualitative Rückmeldungen?
Ja, wir haben zum einen das Thema von Durchlaufzeiten, die sich in der Regel deutlich verkürzen. Ein weiteres elementares KPI ist die Anzahl von Meetings, die sich auf ein absolutes Minimum
reduzieren lässt, wenn man konsequent in einer asynchronen Kollaboration agiert. Wir merken es aber auch an der Fluktuation bzw. den Bewerberzahlen. Aktuell erhalten wir als mittelständige
Unternehmensberatung mit 20 Mitarbeitenden im Durchschnitt 180 bis 200 Bewerbungen – pro Monat!
Wohin sehen Sie die Entwicklung von New Work in den nächsten fünf bis zehn Jahren gehen? Welche Trends und Veränderungen erwarten Sie?
Ich glaube, dass sich der Begriff New Work bereits zu sehr abgenutzt hat. Einen neuen Begriff zu finden, hilft da auch nicht. Es gibt aber den positiven Trend, dass immer mehr Organisationen
deutlich ganzheitlicher denken. Der Weg geht in Richtung einer noch stärkeren Flexibilisierung, bei der die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben neu verhandelt werden. Klare Regeln und
technologische Begrenzer helfen hier, die Mitarbeitenden vor der Überarbeitung zu schützen. Das Thema „Künstliche Intelligenz“ kommt da natürlich noch hinzu und wird die Art, wie wir arbeiten,
zunehmend prägen. Dies wird neue Anforderungen an die Mitarbeitenden und die Unternehmensstrukturen stellen, die jedoch nur dann erfolgreich sein können, wenn sie den Menschen nicht als
Ressource, sondern als zentrales Element der Organisation verstehen.
Abschließend gefragt: Würden Sie sagen, dass New Work eine Revolution in der Arbeitswelt ausgelöst hat?
Absolut. Das war der erste Funke, der dann den Unternehmen zusammen mit der fortschreitenden Digitalisierung und den Corona-Herausforderungen eine neue Sichtweise gegeben hat. Das ist mehr als
nur „modernes Arbeiten“; es ist ein Ansatz, der Mut zur Veränderung erfordert. Aber ich glaube, dass Unternehmen, die diesen Weg gehen, langfristig profitieren – sowohl durch zufriedene
Mitarbeitende als auch durch eine gesteigerte Effizienz.
Das Interview führte Katja Leimeister, approdos consulting
Michael Schneppensiefer
prosma GmbH & Co. KG
info@prosma.de
www.prosma.de