Ausgegründet aus der Universität Mainz ist neQxt ein Unternehmen, das sich mit dem Bau von Quantencomputern beschäftigt. Chief Scientific Officer Dr. Janine Hilder und Chief Executive Officer Sebastian Deuser erklären im Interview, wofür sie Quantencomputer bauen und was sie motiviert, Lösungen für den Mittelstand anzubieten.
Neqxt ist ein noch recht junges Unternehmen. Was ist der Geschäftszweck?
Deuser: Wir bauen Quantencomputer und bieten Rechenzeiten auf diesen Systemen interessierten Unternehmen an. Wir unterstützen die Kunden auch dabei, die Potenziale von Quantencomputern zu
erkennen, sprich wir beraten sie, welche Anwendungen darauf möglich sind und welche Vorteile für ihr Business daraus entstehen könnten.
Mit Quantencomputern und Künstlicher Intelligenz steht die Menschheit vor einer neuen industriellen Revolution. Wo sehen Sie Chancen und Risiken?
Deuser: Industrielle Revolutionen haben den Menschen immer Vorteile gebracht: weniger Arbeit, mehr Freizeit, höherer Lebensstandard und technischer als auch medizinischer Fortschritt. Engpässe
haben wir aktuell im Bereich von Fachkräften. Hier könnte KI uns durchaus durch die Übernahme von Routineaufgaben helfen. Quantencomputer könnten uns insbesondere bei Lösungen für Umwelt- und
Klimaschutz unterstützen. Aber natürlich gibt es auch Risiken, das wollen wir nicht abstreiten. Die Firmenphilosophie bei neQxt ist jedenfalls, dass wir die Technologien auch für den Mittelstand
verfügbar machen möchten und sie nicht nur den Großen vorbehalten sein sollte.
Was ist denn ein Quantencomputer genau?
Hilder: Ein Quantencomputer ist ein Computer, der die Gesetze der Quantenphysik nutzt, um komplexe Berechnungen in extrem kurzer Zeit durchzuführen. So können Quantencomputer aufgrund der darin
arbeitenden Qubits mehrere Berechnungen parallel ausführen und somit sehr komplexe Probleme lösen, die für herkömmliche Computer sehr lange dauern würden oder komplett unmöglich sind.
Wie kommt es zu diesem blitzschnellen Verarbeiten von Daten?
Hilder: Die Qubits können nicht nur zwei Zustände wie ein klassisches Bit (0 oder 1) annehmen, sondern gleichzeitig 0 und 1 sein können, bis zu dem Zeitpunkt, in dem sie gemessen werden. Wenn man
mehrere Qubits miteinander verbindet, entsteht ein Phänomen, das Verschränkung genannt wird. Durch die Verschränkung können Qubits komplexe Muster bilden, die viele mögliche Lösungen für ein
Problem repräsentieren. Wenn man dann eine Messung an den Qubits durchführt, erhält man eine der möglichen Lösungen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit. Qubits sind also deshalb so schnell,
weil sie mehr Informationen speichern und verarbeiten können als klassische Bits. Für die Nutzung der Geschwindigkeit ist aber nicht nur die Hardware entscheidend, sondern es müssen auch
spezielle Algorithmen entwickelt werden.
Wo kommen denn diese Qubits her bzw. wie gewinnt man diese?
Hilder: Wir bei neQxt machen das über das Prinzip der „Paul-Falle“, für die Wolfgang Paul 1989 einen Nobelpreis erhalten hat. Die Falle ist quasi eine Fangvorrichtung für geladene Ionen unter
Vakuum. Wir entwickeln und produzieren dazu unsere eigenen Ionen-Fallen. Diese sind im Grunde das Herz des Quantencomputers, vergleichbar mit der CPU eines normalen Computers. Das Ganze wird in
einem Reinraum produziert, um mögliche Verunreinigungen zu vermeiden.
Es gibt aber auch noch andere Methoden, Qubits herzustellen, z. B. in supraleitenden Schaltkreisen, mittels Kernspintechnologien und andere Hochtechnologien.
Deuser: Das interessante an den Qubits ist die exponentiell steigende Leistung. Vereinfacht gesagt ist ein Quantencomputer mit 30 Qubits in etwa so leistungsfähig wie ein guter Laptop, bei 50
Qubits schafft er die Leistung eines kleinen Rechenzentrums. Bei 51 Qubits dagegen schon wie zwei Rechenzentren. Mit jedem Qubit mehr verdoppelt sich die Leistung, wenn alle Rahmenparameter
stimmen. Damit sind diese Computer nicht nur platzsparend, sondern auch energieeffizient, denn der Energieverbrauch steigt nicht nennenswert mit weiteren Qubits. Das ist bei Rechenzentren leider
nicht so: Sie brauchen Platz und enorm viel Energie. Aber wir möchten nicht den Eindruck erwecken, dass Quantencomputer eine Alternative für normale Rechner oder Rechenzentren sind. Nein, die
beiden Systeme können nur im Wechselspiel miteinander ihre Wirkung entfalten.
Qbits gelten als besonders empfindlich. Wogegen müssen Sie diese schützen?
Hilder: Es gibt eine Reihe von Störfaktoren. Die Laser, die die Qubits ablesen, müssen exakt justiert sein. Hier sprechen wir von Genauigkeiten von wenigen Mikrometern. Das heißt, dass schon
kleinste Vibrationen Abweichungen bedeuten, die das Messergebnis verfälschen. Auch braucht es möglichst konstante Temperaturen, denn Materialien dehnen sich aus oder ziehen sich zusammen bei
Temperaturveränderungen, was wiederum zu Ungenauigkeiten der Laser und damit der Berechnung führen kann. Tatsächlich arbeiten wir bei Raumtemperatur und kühlen nur die Ionen, während
beispielsweise die meisten anderen Quantencomputer-Bauer das gesamte System kühlen. Last but not least müssen wir die Qubits auch vor Magnetfeldern abschirmen.
Wo sehen Sie die größten Potenziale für Quantencomputing?
Hilder: In vielen Bereichen der Wissenschaften könnten damit Meilensteine erreicht werden, beispielsweise überall, wo Simulationen hilfreich sind. Chemie, Materialwissenschaften oder Pharmazie
sind mögliche Anwendungsgebiete. Aber auch im klassischen Mittelstand können logistische Prozesse mittels Quantencomputing optimiert werden.
Haben Sie dafür Beispiele?
Deuser: Ein einfaches Beispiel ist die Austragung von Zeitungen. Hier liegen Adressen zur Auslieferung vor, es gibt eine Reihe von ZeitungsausträgerInnen, die Zeitungen werden an definierten
Orten zur Abholung bereitgestellt. Die übliche Tourenplanung für die AusträgerInnen folgt dabei Mustern, die es schon immer gibt, die aber vielfach noch nicht optimal sind. Dazu kommen dann noch
Situationen, in denen AusträgerInnen krank oder im Urlaub sind, was die Tourenplanung für diese Tage erschwert. Mittels Quantencomputing können die perfekten Routen nach Vorgaben (z. B. jede/r
arbeitet gleichlang) ermittelt werden. Das Gleiche gilt auch für die Tourenplanungen von Vertreternetzwerken oder Wegeoptimierungen in der Intralogistik. Im Ergebnis stehen kürzere Strecken,
geringerer Verbrauch und Zeitersparnis der Mitarbeitenden zu Buche.
Hilder: Ein weiterer wichtiger Einsatzbereich sogenannter Variationeller Quanten-Algorithmen (VQA) sind in der Chemie und der Pharmazie zu finden. Bisher werden oftmals Annahmen getroffen und
einzelne Simulationen experimentell durchgeführt, da die Rechenleistung nicht ausreicht, umfassende Simulationen durchzuführen. Eine Lösung zu finden, ist dabei teuer, aufwändig und langwierig
und nicht immer kommt das optimale Ergebnis heraus. Mit Quantencomputing können beispielsweise in der Chemieindustrie Katalyse-Prozesse verbessert werden. Verbesserte Katalyse-Prozesse bedeuten
dann wiederum Energieeinsparungen für die chemische Industrie, welche über 10 % des gesamten deutschen Energieverbrauchs ausmacht. Für die Pharmazie ergeben sich durch die Simulationen
Ansatzpunkte für maßgeschneiderte, auf das Genom der Menschen zugeschnittene Medikamente. Auch im Bereich Machine Learning gibt es Quantenalgorithmen, die in Zukunft einen Vorteil gegenüber ihrer
klassischen Variante erzielen könnten. Ein Beispiel dafür ist die Klassifizierung von Daten, also so etwas wie die Frage, ob ein Bild ein Fahrrad oder ein Auto zeigt. Aber nicht nur
Bilderkennung, auch andere Bereiche, in denen Machine Learning eingesetzt wird, können profitieren. Eine der größten Herausforderungen ist hier die effiziente Übergabe der Daten an den
Quantencomputer, dann ist das Potenzial sehr groß.
Wer sind Ihre Wettbewerber? Wie grenzen Sie sich von diesen ab?
Hilder: Einer der größten Player im Markt ist sicher IBM. Sie haben ein völlig anderes Geschäftskonzept, dominiert von Kollaborationen mit großen Unternehmen, aber auch der Möglichkeit, relativ
einfach über IBM Q Algorithmen zu testen. Als kleinerer Nutzer ohne eigens verhandelte Nutzervereinbarung gibt man dort aber die Rechte an den eingespeisten Algorithmen und den Berechnungen zur
weiteren Verwendung innerhalb IBM Quantum ab. Bei uns haben die Auftraggeber die vollen Eigentumsrechte an ihren Algorithmen und Berechnungen, was ja auch der Europäischen
Datenschutzgrundverordnung gerecht wird. Wir legen außerdem viel Wert auf den direkten Kundenkontakt und Support bei der Fragestellung, wie Quantenalgorithmen von Nutzen sein könnten und der
Auswahl interessanter Algorithmen. Wir denken, dass dies gerade für Unternehmen ohne eigene Quantencomputing-Abteilung ein wichtiger Punkt ist. Die reine Bereitstellung des Zugangs zu dem
Quantencomputer reicht da nicht aus.
Ansonsten gibt es eine Reihe weiterer Hochschulprojekte und -ausgründungen, die mit anderen technologischen Ansätzen unterwegs sind. Das ist grundsätzlich zu begrüßen, denn die Nachfrage nach
diesen Rechenleistungen ist enorm, wir befinden uns in einem Wachstumsmarkt und letztlich soll es sich am Ende jeder Mittelständler leisten können, mithilfe von Quantencomputing die Prozesse zu
optimieren und damit langfristig viel Geld zu sparen.
Wie finanziert sich Ihr Projekt?
Deuser: Für die Universitäten ist es immer von Vorteil, wenn sie Ausgründungen vorantreiben. Dafür gibt es Fördergelder. Die Uni Mainz ist insbesondere in der Anfangsphase in Vorleistung
getreten. Wir durften und dürfen auch heute noch die Infrastruktur dort nutzen. Wir als Gründerteam aber auch viele Studierende und Promovierende haben mit viel Enthusiasmus und Eigenleistung in
ihre Zukunft investiert.
Inzwischen sind 24 Menschen auf unserer Payroll. Einnahmen kommen vor allem von Auftraggebern, weil wir keinen Investor haben und unsere Firmenphilosophie eine andere ist als beispielsweise bei
IBM. Das schafft Vertrauen. Unsere Auftraggeber interessieren sich für einen Einstieg in die Materie und lassen erste kleine Berechnungen durchführen. Wir entwickeln Algorithmen für sie, die dann
später leicht skalierbar sind, wenn die hohe Rechenleistung via Qubits zur Verfügung steht, wir führen Studien für sie durch etc. Gerade der Mittelstand kann bei solchen Projekten auch eine
Förderung erhalten und so helfen wir Use
Cases zu beschreiben, die eine Förderung ermöglichen.
Sie sind nicht in einer der hippen Gründerstädte ansässig. Wie kam es dazu, dass Sie am Bayerischen Untermain Ihr Revier aufschlagen wollen?
Deuser: Ehrlich gesagt, wollten wir uns aufgrund unserer Nähe zu Uni Mainz in Mainz ansiedeln. Das Interesse von der dortigen Wirtschaftsförderung war jedoch überschaubar. Da ich aus Sulzbach
komme, habe ich somit den Kontakt zum Landrat Jens Marco Scherf gesucht, der uns vom ersten Moment mit großem Engagement geholfen hat. So hat er uns Termine mit dem ICO Industrie Center
Obernburg, mit der ZENTEC und der IHK Aschaffenburg vermittelt und alle Beteiligten haben uns vom ersten Moment ernst genommen und unterstützt.
Hilder: Der nun von uns gewählte Standort ICO ist wirklich in vielerlei Hinsicht für uns ideal: Es gibt ein eigenes, nach der ISO 27001 zertifiziertes Rechenzentrum, ein eigenes,
grundwassergekühltes Kraftwerk, doppelte Glasfaseranbindung, Stickstoffleitungen – alles Infrastrukturleistungen, die wir gerne nutzen werden. Wir freuen uns, voraussichtlich ab dem zweiten
Quartal 2024 dort unsere Aktivitäten aufnehmen zu können.
Herzlichen Dank für das hochinteressante Gespräch, Frau Dr. Hilder und Herr Deuser und viel Erfolg für Ihre weitere Aktivitäten auf dem Gebiet des Quantencomputings.
Das Interview führte Katja Leimeister, approdos consulting.
Hinweis: Dies ist kein Fachartikel. An zahlreichen Stellen sind zur besseren Verständlichkeit vereinfachte Darstellungen enthalten.
neQxt GmbH
Sebastian Deuser
s.deuser@neqxt.org
Dr. Janine Hilder
j.hilder@neqxt.org
www.neqxt.org